Märchen lesen

An dieser Stelle möchten wir kurze Märchen präsentieren.
Ausgewählte Texte unserer Mitglieder, somit garantieren wir Abwechslung und Vielfalt.

Vier mal im Jahr wird gewechselt, es lohnt sich also immer mal wieder bei uns vorbeizuschauen.

im Frühling am 21. März  zur Tagundnachtgleiche
im Sommer am 21. Juni zur Sommersonnenwende
im Herbst am 23. September zur Tagundnachtgleiche
im Winter am 21. Dezember zur Wintersonnenwende

 

DAS MÄRCHEN VON DER GESCHENKTEN ZEIT
Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten drei Töchter. Von der Ältesten sagten die Leute: “Wie klug sie ist!“ Von der Zweiten meinten sie voller Bewunderung: „Seht wie ist sie so fleißig!“ Wenn sie aber von der Dritten sprachen, hellten sich ihre Gesichter auf: „Sie ist so freundlich und sie kann so wunderbar lachen!“

„Es ist an der Zeit, meine lieben Töchter“, sagte eines Tages die königliche Mutter, „dass ihr das Haus verlasst und die Welt kennen lernt.“ Einer jeden legte sie eine kunstvoll gewirkte Tasche über die Schulter, die war prall gefüllt. „Das ist eure Wegzehrung. Ich habe jeder von euch einen großen Anteil meiner Zeit geschenkt. Geht sorgsam damit um. Mehr davon kann ich euch nicht geben.“ „Nach einem Jahr“, sagte die Königin noch, „kommt ihr zurück und erzählt wie es euch ergangen ist.“

Der Abschied war herzlich und dann ging jede ihres Weges.

Die Erste, die Kluge war noch nicht weit gegangen, da hatte sie schon eine große Berechnung angestellt, wie sie ihre Zeit möglichst gewinnbringend anlegen könnte. “Gönn uns ein kleines bisschen von deiner Zeit.“ wisperten die Blumen am Wegrand. „Wo denkt ihr hin!“ sagte die Kluge „Zeit ist Geld und das wirft man nicht einfach auf die Straße.“ und eilte davon als hätte sie schon keine Zeit mehr. Die Zweite, die Fleißige, hatte schon bald eine Beschäftigung entdeckt und arbeitete hastig, denn sie wollte die Zeit ausnutzen. Da rollte ihr ein roter Ball zwischen die Füße und ein Kind rannte herbei und fragte:“ Spielst du mit mir?“ „Jetzt nicht.“ , sagte die Fleißige, „ ich habe keine Zeit. Ich muss heute schon die Arbeit von morgen machen!“ „Spielst du dann morgen mit mir?“ „Es geht nicht, da mach ich schon die Arbeit von übermorgen!“ „Und dann, hast du dann Zeit?“ „Vielleicht, wenn mir nichts dazwischenkommt. Aber jetzt nimm deinen Ball. Stiehl mir nicht die Zeit!“ Da ging das Kind traurig davon.

Die dritte Tochter aber kam nicht weit nur bis zu einer Bank am Ententeich. Da saßen ein paar alte Leute und schwiegen sich an, denn sie hatten sich schon alles erzählt und etwas Neues fiel ihnen nicht mehr ein. „Hast du ein bisschen Zeit? Komm setz dich zu uns!“ „Aber sicher.“ sagte die Königstochter mit dem lachenden Gesicht „ich habe viel Zeit geschenkt bekommen. Davon kann ich Euch doch abgeben“ langte in ihre Tasche und fragte die alten Leutchen nach ihrem Leben und sie erzählten ihr viel und als sie sich endlich verabschiedet hatten, hörte sie sie von weitem noch lachen, denn es war ihnen noch so viel eingefallen, was sie beinahe schon vergessen hatten.

Als ein Jahr herum war, schickte die Älteste ein teures Blumengebinde mit einem Gruß daran: Liebe Eltern! Habt Dank aber ich kann euch jetzt nicht besuchen, es wäre unklug. Der weite Weg zu euch würde mich zu viel Zeit kosten.

Die Zweite kam in allerhöchster Eile und sie erzählte von der vielen Arbeit die nun liegen bleiben musste und war im Herzen schon wieder abgereist ehe sie angekommen war.

Die Dritte aber kam etwas zu spät, denn sie hatte unterwegs Blumen gepflückt, die sie der Mutter mitbringen wollte. „Hast du denn so viel Zeit übrig?“ fragte die Mutter. “Aber sicher“, sagte die Tochter, „du hattest mir ja gar nicht verraten, dass die Tasche sich immer wieder füllt! Je mehr Zeit ich verschenkt habe, desto mehr fand ich darin.“

„Du bist die Einzige“ sagte die Mutter lächelnd, “die das Geheimnis der geschenkten Zeit erfahren hat.“   Verfasser unbekannt

 

Wir stricken unser Leben, jeden Tag ein Stück weiter

Wir stricken unser Leben. Die einen stricken liebevoll und sorgsam, andere mühevoll und ungern.

Oft ist das komplizierte Muster vorgegeben und muss mit viel Konzentration bewältigt werden. Manche Strecken werden mühelos und freudig geschafft. Freundliche Farben, auch bunt gemischt wechseln mit grau ab. Auch die Qualität wechselt: mal weich und flauschig, mal hart und kratzig.

Es kommt auch vor, dass Maschen von der Nadel fallen, manchmal auch aus Versehen. Dann entstehen plötzlich Löcher, und das Muster wird unvollständig.

Es kann auch sein, dass der Faden reisst und neu angesetzt werden muss. Wir kennen das: neu anfangen. Es kann auch vorkommen, dass wir das Strickzeug in die Ecke werfen, um es dann doch wieder hervorzuholen.

Es wird für uns Menschen immer ein Geheimnis bleiben, wieviel Lebensfaden uns noch zu verstricken bleibt.

Wir haben die Nadeln in unserer Hand. Technik, Muster und Werkzeug können wir wechseln …!

Verfasser/in unbekannt

 

VDer Weg

Der weise Mönch Lukas wurde von einem seiner Schüler begleitet, als er durch ein Dorf ging.

Ein alter Mann saß am Wegesrand und fragte Lukas:

– Heiliger Mann, sage mir, wie kann ich Gott näher kommen?

– Habe mehr Spaß am Leben, ehre den Herrn mit Deiner Freude – war die Antwort.

Nun gingen die beiden weiter und da kam ihnen ein junger Mann entgegen.

– Was soll ich tun um Gott näher zu sein?

– Nimm das Leben ernster – sagte Lukas.

Als der junge Mann weitergegangen war, fragte der Schüler:

– Es sieht so aus als ob Ihr nicht recht wüsstet, ob wir Spaß haben sollen oder nicht!?

– Die geistige Suche ist eine Brücke ohne Handlauf, und geht über einen Abgrund– antwortete er. – Wenn jemand zu sehr auf der rechten Seite geht, sage ich ihm „weiter links!“. Wenn er der linken Seite zu nahe kommt, sage ich ihm: „weiter rechts!“.

Verfasser unbekannt